woensdag 8 april 2015

“Nu werdense nich noch frech“ von Jakob Hein


Dieser Ausschnitt aus Jakob Heins Buch “Mein erstes T-Shirt“ über seine Jugend als Punker in der ehemaligen DDR handelt konkret von der Ausreichungsfeier des Personalausweises des Protagonisten und seiner Altersgenossen (Genossen im wahrsten Sinne des Wortes !) und im allgemeinen von dem Lebensgefühl eines Heranwachsenden im realexistierenden Sozialismus ostdeutscher Prägung.

Die angesprochene Feier wird sehr trocken und lakonisch beschrieben. Man muss sofort darüber schmunzeln, wie wenig der Erzähler der ganzen Zeremonie abgewinnen kann. Die beiden Erwachsenen (eine Polizisten und ein Komiker) werden als humorlos und irgendwie fehl am Platz beschrieben. Aber schließlich ist die ganze Feier für den jungen Punker überflüssig und auch seine Altersgenossen verlassen das staatlich erzwungene Fest so schnell wie möglich. Der Eindruck das der Erzähler auch sonst wenig von der Staatsmacht und ihren Vorschriften und Schikanen hält bestätigt sich im Laufe des Textes weiter. So wird unter anderem beschrieben, wie er einmal wegen des diagonalen Überquerens einer Strasse zwölf Stunden lang eingesperrt wurde.


Neben des guten Unterhaltungswertes dieses Textes wird schnell deutlich, dass Jugendbewegungen wie Punk der damaligen Staatsmacht ein Dorn im Auge war. Denn immer wenn der junge Punker den Staatsbeamten mit witzigen und kreativen Begründungen kommt, um sein abweichendes Äußeres zu rechtferigen, schlagen ihm nur dumme und plumpe Autorität entgegen. So ist dann auch das Totschlagargument der blassen Staatsdiener am Ende immer ein hilfloses “Nu werdense nich noch frech“.

“Zigaretten” von Judith Hermann


In der Geschichte Zigaretten von Judith Herman lässt die Autoren eine Protagonisten von ihrer Eifersucht sprechen. Ausgelöst wird diese Eifersucht durch eine kurze Anekdote ihres Freundes, die er beiläufig und schnell während des Fortgehens erzählt. Aber einen beiläufigen Charakter hat diese Anekdote für die Ich-Erzählerin leider überhaupt nicht. Schließlich erfährt sie so, dass es vor ihr schon eine andere Freundin im Leben ihres Freundes gab. Das scheint sie so sehr zu beeindrucken, dass sie die Exfreundin zunächst in allen Möglichen Details beschreibt. Aber nicht nur das Äußere und das Auftreten der Freundin wird detailiert beschrieben. Auch die die Pointe seiner Anekdote erfährt der Leser dieser Geschichte. Denn es ging ihm beim erzählen wohl vor allem um das Wiederfinden seiner Zigarettenschachtel, die er so sehr begehrte, dass er sogar mit der S-Bahn zurück fuhr, um doch noch eine Zigarette rauchen zu können.
Es muss wohl eine leichte und unbeschwerte Zeit gewesen sein, damals mit seiner ersten Liebe, von der sie nur durch Zufall erfährt. Und genau das ist es, was sie so schwer ertragen kann. Es gab eine Zeit in der er anders als heute und mehr als alles andere frei und unbeschwert war. Und das hat er dann auch noch mit einer anderen Frau geteilt und nicht mit ihr.


Ich denke die Erzähleren sehnt sich förmlich nach einer gemeinsamen fröhlichen und leichten Jugendzeit, die sie viel lieber mit ihm geteilt hätte. Sie gönnt es der anderen Frau nicht und wird darüber unglücklich. Die ewige Jugend und die ewige sorglose Liebe: ein schöner Traum. Aber wer den zu eifrig sucht schafft Leiden! 

“Der Hund hinkt“ von Milena Moser


In dieser Geschicht geht es um ein trauriges Familienritual einer Familie, die eigentlich nicht wirklich miteinander verbunden ist. Eine glatte Fassade und darunter doch tiefe Risse im Gemäuer. So könnte man die Protagonisten dieser Geschicht beschreiben.

Jede Woche gehen Vater, Mutter und Tochter und der hinkende Hund zum Grab des verstorbenen Sohnes bzw. Bruders. Dabei achtet die Mutter immer darauf, dass der äussere Schein eines schicken und akuraten Äußeren stimmt und führt die Gruppe auch wie selbstverständlich an. Der Rest der Gruppe wagt ihr nicht zu widersprechen und andere Spaziergänger, die nach dem Wohlbefinden des hinkenden Hundes fragen auch nicht wirklich. Dagegen ist die Tochter in erster Linie verunsichert über ihr Äußeres, so wie viele Teenager in ihrem Alter. Der Vater bemüht sich ein bisschen darum ein nettes Gespräch mit seiner Tochter zu führen, doch dies wird von seiner Tochter nur als leeres Alibigequatsche abgetan. Schließlich beschäftigt er sich unter der Woche ja auch lieber mit seiner Arbeit als mit seiner Familie. Da erscheint so ein etwas linkischer Gesprächserfüllung dann logischerweise er als Pflichterfüllung, als eine wirkliche ernstgemeinter Kontaktversuch.

Und der ganze Spaziergang entpuppt sich schließlich auch als Versuch den Tod des verstorbenen Familienmitgliedes durch ein äußeres Ritual in den Griff zu bekommen.
Doch am Ende der Geschichte bricht die Mutter zusammen (sie weint) und lässt die Fassade dadurch fallen.

Man wünscht dieser Familie einfach nur mehr Zusammenhalt und eine gemeinsame Verarbeitung ihres Traumas. Aber sie scheint davon nocht weit entfernt.

Die Geschichte wird übrigens aus der Ich-Perspektive der Tochter wiedergegeben

"Marita" von Selim Özdogan


Der Erzähler dieser Geschichte hat großen Liebeskummer. Seine Freundin Marita hat sich von ihm getrennt und ist nun mit einem anderen Mann zusammen. Sein ganzes Leben scheint sich nur noch aus einer endlosen Kette von mechanisch ausgeführten Routinetätigkeiten zusammenzusetzen. Er geht zur Arbeit, kauft ein, schaut fern, macht sauber und betrinkt sich gelegentlich. Mit anderen Menschen will er sich aber nicht treffen. Sie könnten die Leere, die seine große Liebe hinterlassen hat wohl doch nicht füllen. Wahrscheinlich hat er Angst, dass sein Verlust dann noch sichbarer wäre für ihn. Denn wer kann schon den endlos leeren Raum füllen, den ein noch immer geliebter Mensch hinterlassen hat.
Noch einmal lässt der Erzähler die Zeit der Gemeinsamkeit revue passieren und kommt schließlich zu dem Punkt wo Marita ihren neuen Freund kennengelernt hat.
Er sagt, dass dieser Zustand des Schockes, der Leere und der Apathie noch ein paar Wochen andauern wird. Das spricht dafür, dass er über seinen Zustand reflektieren kann und irgendwo weiß, dass er nicht ewig andauern wird. Und auch sein Nachbar versucht ihm so gut zu helfen, wie es geht.
Aber Hilfe und Selbsterkenntnis allein können eben nicht alle Wunden heilen. Zumindest nicht sofort. Es braucht bei großem Liebeskummer wohl auch immer viel Zeit, bis man wieder der Alte ist oder besser gesagt ein “neuer Alter“. Wenn der Erzähler dann am Schluss nochmal sagt, dass er sich manchmal am liebsten auflösen würde, bekommt man ein Gefühl dafür, wie groß der Schmerz ist, der in dieser Geschichte wirklich Raum und Zeit ganz und gar für sich beansprucht.

Die Geschichte spielt in einer vage zu bestimmenden Gegenwart. Und eigentlich wird die Geschichte auch nicht wirklich erzählt, sondern eher in der Form eines inneren Monologes an die Abwesende vorgetragen.


Ich denke, dass sich sehr viele Menschen in dieser Geschichte wiederfinden können. Denn die schmerzhafte Zeit nach einer unfreiwilligen Trennung macht fast jeder einmal mit. Aber das Zulassen und Durchleben eines tiefen Schmerzes machen einen Neuanfang häufig erst überhaupt möglich. Amen!

“Hauptsache weit“ von Sibylle Berg


Inhalt

In der Kurzgeschichte “Hauptsache weit“ von Sibylle Berg geht es um Einsamkeit in der Fremde. Der Erzähler ist noch jung und hat sich zum ersten in seinem Leben auf eine große Reise begeben. Die Schulzeit ist gerade vorbei und diesen Abenteuertrip hatte er sich eigentlich als lässige und coole Krönung seiner Jugend und Schulzeit vorgestellt. Das große Abenteuer allein irgendwo in Asien entpuppt sich dann jedoch als ein kleiner Albtraum. Die Dinge, die vom Weiten noch so attraktiv schienen, stören und verängstigen ihn jetzt. Statt eines exotischen Abenteuers wird er konfrontiert mit einer lauten, stinkenden und chaotischen fremden Welt, in der er sich nicht wohl fühlt. Auch sein Magen muss sich noch an die asiatische Küche gewöhnen.
Zur emotionalen Rettung wird ihm schließlich ein Internetcafé. Endlich kann er wieder Kontakt zur Heimat aufnehmen, zur vertrauten Welt des eigentlich belanglosen Promitratsches und natürlich zu den zurückgebliebenen Freunden. Jetzt fühlt er sich wieder wohl in seiner Haut.

Meine Meinung zur Geschichte

Wer schonmal auf anderen Erdteilen unterwegs war und mit völlig anderen, zunächst fremden Kulturen konfrontiert war, kennt wahrscheinlich die Gefühle, die in dieser Geschichte beschrieben werden. Es geht um Kulturschock und Heimweh.

Erzählperspektive

Die personale Erzählperspektive, die in dieser Geschicht benutzt wird, gibt das im Wesentlichen das Geschehen wieder und gibt dem Leser Einsicht in die Innen- und Gefühlswelt des Protagonisten.